Tacita de Plata – Silbertässchen –
so wurde Cádiz liebevoll genannt, wegen des besonderen Lichts, das das Meer reflektierte und die weißen Häuser der Altstadt in einem silbrigen Schimmer erstrahlen ließ. Arnau saß im Schatten einer Platane auf der Plaza de las Flores, mitten in der Altstadt von Cádiz, und beobachtete einen Guiri, einen Touristen.
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Gabriel Lamas, Amerikaner; Zimmer 245; eine Woche, alleinreisend; mindestens drei Kreditkarten; Bild angehängt; Gruß A.
Doooong, Doooong. Die mächtigen Glocken der nahegelegenen Kathedrale zum heiligen Kreuze über dem Meer schlugen zur vollen Stunde. Es war erst zehn Uhr morgens, aber die Hitze durchdrang bereits die letzten Ecken auf der Plaza de las Flores.
Cádiz, das war sein Ort. Welcher andere Ort in Spanien konnte es schon mit dieser Vielfalt, die diese Stadt bot, aufnehmen? Die Gaditanos, wie sich die Einheimischen stolz nannten, waren seine Familie. Hier fühlte Arnau sich geborgen. Und hier gab es außerdem reichlich Arbeit für ihn.
Der Guiri kauerte in der hinteren Ecke des Tresens im El Mago gleich gegenüber. Die Bar befand sich in einem Eckgebäude zwischen der Plaza de las Flores und der Plaza Libertad, auf der sich die historische Markthalle Mercado Central de Abastos befand. Ein kurzer Kontrollblick in die Bar, der Mann mit dem blauen Polo-Shirt, der langen Khakihose und den weißen Turnschuhen spielte an seinem Rucksack herum und machte keinerlei Anstalten zu gehen. Arnau war ihm von seinem Hotel hierher gefolgt und behielt ihn nun im Auge.
Arnau nahm das Handy und schrieb seinem Freund Nacho eine Nachricht.
Bei mir ist alles in Ordnung. Bist du drin?
Der Tipp war dieses Mal von Alvaro gekommen, dem Empfangschef des Hotel Jardin. Nacho verschaffte sich gerade mit seiner Hilfe Zutritt zum Hotelzimmer des Amerikaners. Sollte sich der Guiri in Richtung Hotel zurückbewegen, würde Arnau Nacho rechtzeitig warnen.
Schweißtropfen rannen Arnaus Schläfe hinab. Er wischte sie mit dem Handrücken fort. Noch immer keine Bewegung bei dem Guiri. Warum der bei dieser Hitze drinnen saß, war ihm ein Rätsel.
Sein Handy vibrierte. Es war Nacho. Arnau nahm ab.
»Alles in Ordnung?«
»Ja, alles gut«, antwortete Nacho leise.
»Was ist? Warum flüsterst du? Bist du etwa …«
»Ja, bin im Zimmer.«
»Was? Mensch, Nacho, wenn dich jemand hört.«
»Ich pass schon auf. Hör zu, da ist eine Menge Bargeld im Safe. Soll ich … Puta madre. Ich glaube da ist jemand an der Tür.«
»Nacho, nur die Kreditkarten. Hörst du? Nacho?«
Doch sein Freund hatte bereits aufgelegt.
»Mann. Nacho«, schimpfte Arnau vor sich hin. Das nächste Mal würde er selbst wieder das Hotelzimmer übernehmen.
Der Guiri war noch da. Inzwischen starrte er zu einem Polizisten, der an einer Straßenlaterne lehnte und eine Tüte Churros aß. Dabei sah der Polizist auf und die Blicke der beiden trafen sich. Der Guiri drehte sich verlegen weg. Er spielte mit seinem Whiskeyglas, rutschte auf seinem Hocker hin und her, schmiss sich irgendwelche Pillen ein und winkte dann den Barmann zum Zahlen herbei.
Arnau sah auf sein Handy. Immer noch keine neue Nachricht von Nacho.
Eilig verließ der Guiri die Bar. Arnau sprang auf seine Vespa Primavera und folgte ihm. Solange sich Nacho im Hotelzimmer noch zu schaffen machte, durfte er den Guiri auf keinen Fall aus den Augen verlieren.
Der Guiri hastete Richtung Kathedrale, die Calle Compañia entlang. Zwischen den weißgetünchten Fassaden der Häuser war die Wärme noch einigermaßen auszuhalten. Die Fenster hatten hübsche Zierbalkone und links und rechts erstreckten sich viele kleine Läden, doch der Guiri würdigte all dem keinen Blick. Stattdessen drehte er sich immer wieder um, so, als fühlte er sich verfolgt.
Was stimmte mit ihm nicht? Arnau sah zurück, konnte aber niemanden ausmachen, der dem Guiri folgte.
Er stoppte hinter einem Postkartenständer, um etwas mehr Abstand zwischen sich und dem Guiri zu bekommen. Arnau war jetzt direkt am Jesuitenkloster Santiago Apóstol. Die Gasse war schmal und auf der rechten Seite ragten die weißen, hohen Mauern des Klosters empor. Wenn er nach vorn sah, konnte Arnau bereits eine der großen Palmen sehen, die vor der Kathedrale in den Himmel emporragten.
Der Guiri verschwand auf den Platz und Arnau setzte sich wieder in Bewegung. Die Hitze schlug ihm wie eine Wand entgegen, kaum, dass er den Platz betrat. Er blieb im Schatten der Markise der kleinen Bar Bongó stehen und zerrte an seinem Sweatshirt, vergeblich nach etwas Kühlung suchend. Wenn der Guiri doch nur zum Strand laufen würde! Dort wehte wenigstens eine Brise – heiß und trocken zwar, aber immer noch besser als dieser Glutofen hier.
Wo steckte der Kerl überhaupt? Arnau suchte den Platz ab, konnte ihn aber nirgends entdecken. Der Guiri war verschwunden.
…
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